Neun Fragen an Horst Bittermann, Präsident von Pro Carton

  1. Was erwarten Sie für die Karton- und Faltschachtelindustrie im kommenden Jahr und darüber hinaus?
Unsere Branche wird ihre positive Entwicklung in den kommenden Jahren fortsetzen und deutlich über den jährlichen Wachstumsraten der EU liegen. Mehr denn je werden Verpackungen benötigt, um Produkte und die Umwelt zu schützen, aber auch um die verpackten Produkte zu verkaufen. Das Einzige, was ein Produkt immer begleitet, egal an welchem Verkaufsort - im Regal oder im Internet - ist die Verpackung, und hier insbesondere die Kartonverpackung. Sie schont die Umwelt und transportiert die Markenbotschaft am besten. Ich bin also sehr optimistisch.
  1. Welchen Einfluss werden die jüngsten und kommenden politischen Veränderungen auf die Industrie und Ihren Sektor haben?
Weltweit hat sich die Erkenntnis durchgesetzt, dass Verpackungen nicht einfach als Wegwerfprodukt betrachtet werden dürfen, sondern in einen geschlossenen Wirtschaftskreislauf eingebunden werden müssen. Ein wichtiger Ansatz hierfür sind die wahren Kosten. Müsste jeder, der Produkte in Verpackungen verkauft, die Kosten für die Entsorgung selbst tragen, würden manche Verpackungen, insbesondere solche aus fossilen Rohstoffen, erheblich teurer werden. Das wäre nicht nur fair, sondern ist auch im Sinne der Rettung unserer Umwelt zwingend notwendig und wird, so glaube ich, auch kommen. Je mehr Länder, wie China oder Indonesien, sich weigern, nicht verwertbare Verpackungsabfälle aus den westlichen Industrieländern zu importieren, desto wichtiger ist eine funktionierende Kreislaufwirtschaft, die aus Abfall eine wertvolle Ressource macht. Das schafft auch in Europa Arbeitsplätze und Wirtschaftswachstum. Karton und Faltschachteln werden dann für jahrzehntelange Entwicklungsarbeit belohnt. Wir sprechen hier von einer "Neuen Nachhaltigkeit". Dahinter steht ein großer Wandel in den Verbrauchererwartungen. Die Verbraucher verlangen, dass wir, die gesamte Industrie, Verantwortung für unsere Umwelt übernehmen, und sie wollen über den Beitrag, den sie selbst leisten können, informiert werden. Dies sollte in Zukunft auf jeder Verpackung angegeben werden. Es geht um einen ganzheitlichen Ansatz hin zu einer vollständigen Kreislaufwirtschaft. In Zukunft darf nichts, was nicht schon von Natur aus vorhanden ist, Teil der Natur werden.
  1. Was sind die größten Herausforderungen, vor denen die Karton- und Faltschachtelindustrie heute steht?
Die größten Herausforderungen sind die Steigerung von Flexibilität, Innovation und Attraktivität als Arbeitgeber für junge Talente. Die Markenartikelindustrie und der Handel stehen vor der Aufgabe, möglichst viele potenzielle Käufer in ihre eigene Produkterlebniswelt zu locken, unabhängig davon, ob der Verbraucherkauf analog oder digital erfolgt. Daraus resultieren Investitionen sowohl in den digitalen als auch in den Verpackungsbereich, denn die Verpackung ist der einzige "Begleiter", der das Produkt jederzeit und überall unterstützen kann. Für uns bedeutet das, dass wir über die gesamte Lieferkette hinweg in engem Kontakt bleiben, um schnell auf neue Herausforderungen reagieren zu können. Das bedeutet aber auch, dass wir unsere Kunden, den Handel und die Industrie mit neuen Ideen und Verpackungsprodukten unterstützen, die ihnen in einer sich ständig verändernden Verkaufswelt helfen.
  1. Ist die gesamte Lieferkette betroffen?
Ja, um kostengünstig, umweltfreundlich, flexibel, schnell und innovativ arbeiten zu können, müssen alle Partner in der Lieferkette eng zusammenarbeiten. Im Mittelpunkt steht die Aufgabe, unseren Beitrag zur Rettung der Natur zu leisten. Und das meine ich ganz wörtlich. Niemand in der Verpackungsbranche kann das so gut wie wir und unsere Lieferkette. Kartonproduktion und -recycling zählen bereits zu den nachhaltigsten Industrien, und wir alle arbeiten seit Jahrzehnten daran, die Umweltauswirkungen auf nahezu Null zu reduzieren: Produktionsstandorte, Produktionsprozesse, Lieferwege, Energieemissionen, Recycling - alles wird kontinuierlich überprüft und verbessert. Jedes Jahr machen wir weitere Fortschritte, und das kommt vor allem unseren Kunden und der Natur zugute.
  1. Was halten Sie von den jüngsten Horrorgeschichten über Plastikmüll in den Ozeanen?
Wir brauchen Verpackungen, um Lebensmittelverluste zu begrenzen, Produkte zu schützen und die Verbraucher über ihre Verwendung zu informieren. Würden keine Verpackungen verwendet, gäbe es bei den derzeit verpackten Produkten große Verluste, insbesondere den Verderb von Lebensmitteln, was letztlich weitaus größere Auswirkungen auf die Umwelt hätte. Lebensmittel an sich verbrauchen ein Vielfaches an Ressourcen (> 10 Mal) als ihre Verpackung. Wir müssen jedoch Verpackungen schaffen, die die Umwelt nicht belasten. Mit Kartonverpackungen sind wir diesem Ziel schon sehr, sehr nahe. Unsere Verpackungen bestehen aus erneuerbaren oder recycelten Materialien und nicht aus fossilen Rohstoffen, deren Abfälle in Flüssen, Seen und Meeren landen. Wir können Karton glaubhaft als die nachhaltigste Verpackungsoption positionieren. Die Karton- und Faltschachtelindustrie hat hier eine große Chance, ihre positiven Umweltdaten noch bekannter zu machen: nachhaltige Forstwirtschaft, nachwachsende Rohstoffe, Kompostierbarkeit und vor allem eine funktionierende echte Kreislaufwirtschaft.
  1. Steigt die Nachfrage seitens der Markeninhaber und des Einzelhandels?
Die Nachfrage ändert sich dramatisch und in vielerlei Hinsicht. Die Digitalisierung verändert unsere Geschäftsprozesse und -modelle sehr schnell. Wir müssen in engem Kontakt mit unseren Kunden bleiben, um gemeinsam zu erkunden, wohin die Reise gehen wird. Natürlich werden die Losgrößen kleiner, die Lieferzeiten kürzer, und selbst individualisierte und maßgeschneiderte Verpackungen sind heute hier und da zu sehen. Aber das ist bei weitem nicht alles. Wir müssen viel mehr tun als früher, damit sich die Verbraucher mit unseren Produkten rundum wohlfühlen. Sie wollen die Garantie, dass ihre Einkäufe nicht nur keinen Schaden anrichten, sondern auch aktiv die Umwelt unterstützen und damit ihre eigene Umwelt und sich selbst gesund erhalten. Die Verbraucher erwarten von der Markenartikelindustrie und dem Handel, dass sie Verantwortung für unsere Zukunft übernehmen, und wir als Verpackungsindustrie müssen ihnen die Mittel dazu geben. Ich zitiere gerne die drei Ps: Bewahren, Fördern und Schützen. Die Bewahrung des Produkts (Preserve) ist natürlich die wichtigste Aufgabe der Verpackung. Die Kosten sind nach wie vor äußerst wichtig, aber es ist entscheidend, dass Werbung (Promote) und Umweltschutz (Protect) miteinander kombiniert werden. Dies führt zu einem Paradigmenwechsel in der Markenwelt. Marken und ihre Verpackungen müssen den Käufern positive Erfahrungen vermitteln, unabhängig davon, wo und wie sie sich für ein Produkt interessieren. Die Verbraucher wollen jederzeit und an jedem Ort entscheiden können, was sie kaufen, und sie werden sich für das Produkt entscheiden, das ihnen das beste Gefühl vermittelt. Natürlich steht ein gesundes Umfeld an erster Stelle, gefolgt vom Erleben des Produkts und der Verpackung - man denke nur an die unzähligen Videos über "Unboxing"-Erlebnisse.
  1. Wie wichtig ist Innovation in der Kartonindustrie?
Innovation ist aus zwei Gründen von größter Bedeutung: erstens, um fossile, umweltschädliche Verpackungen durch umweltfreundliche Verpackungen zu ersetzen, und zweitens, um den Verbrauchern mit frischen Verpackungsideen neue Erfahrungen zu bieten und ihnen das Leben zu erleichtern. In diesem Bereich gibt es noch viel zu tun, und unsere beiden Preise, der European Excellence Award und der Young Designers Award, sind die Speerspitzen, um solche Innovationen zu fördern und sichtbar zu machen. Die Bedeutung der Verpackung als Kaufanreiz wird im digitalen Umfeld enorm zunehmen. Karton hat hier naturgemäß große Vorteile, denn die Verpackung ist ein starkes Medium. Das haben die Studien von Pro Carton in den letzten Jahren sehr deutlich gezeigt, zum Beispiel die Studien "Touchpoint", "Multichannel Packaging" und "Packaging as a Medium". Keine Verpackungsform ist kommunikativer und informativer als der Karton. Sie bietet die besten Möglichkeiten, wenn es darum geht, sich für ein bestimmtes Produkt zu entscheiden.
  1. Was sind die wichtigsten Projekte von Pro Carton?
Die Kommunikation unserer Stärken ist die zentrale Aufgabe, die Kommunikation mit der Industrie, dem Handel bis hin zum Verbraucher. Der Fokus liegt auf nachwachsenden Rohstoffen, Kompostierbarkeit und vor allem einer perfekt funktionierenden Kreislaufwirtschaft. Die wichtigsten Projekte sind zum einen unsere beiden Auszeichnungen, der European Carton Excellence Award für die Profis und der Pro Carton Young Designers Award für diejenigen, die es werden wollen. Beide Preise sind in den letzten Jahren kontinuierlich gewachsen und gehören zu den wichtigsten Benchmarks im Verpackungssektor. Die Zahl der Einsendungen für den Pro Carton Young Designers Award hat sich in den letzten fünf Jahren auf über 460 vervielfacht. Auch in den Social-Media-Kanälen stoßen beide Auszeichnungen auf ein enormes Echo! Das TICCIT-Schulprogramm fand großen Anklang: In diesem Bildungsprogramm wird die Bedeutung nachhaltiger Verpackungen auf spielerische Art und Weise erklärt, um junge Talente zu inspirieren. Schulen in fünf europäischen Ländern haben seit dem Start des Programms im Herbst 2018 teilgenommen. Und schließlich gehören auch unsere Studien, mit denen wir regelmäßig das Image, die Kommunikationsleistung und die Nachhaltigkeit verschiedener Verpackungsmaterialien vergleichen, zu unseren wichtigsten Projekten.
  1. Wie sieht die Zukunft der Kartonverpackung aus?
Hier bin ich äußerst optimistisch. Die Ergebnisse der aktuellen Studien zeigen klar den Weg in die Zukunft: Die Mehrheit der Verbraucher legt Wert auf nachhaltige Verpackungen. Karton wird, wo immer möglich, alle anderen Verpackungsmaterialien ersetzen, da er für die unumgängliche und notwendige Kreislaufwirtschaft am besten geeignet ist. Jahr für Jahr erzielen wir deutliche Verbesserungen in der CO2-Bilanz von Karton und die Recyclingquote steigt. Untersuchungen haben gezeigt, dass wir Karton fast unendlich oft recyceln können. Karton ist also sowohl ein wertvolles Verpackungsmaterial als auch ein Rohstoff. Ein Grund mehr, der für den Karton als Verpackungsmaterial spricht.