"In Wirklichkeit sind unsere wahren Kunden die Verbraucher".

Lothar Böhm ist einer der weltweit führenden Markenberater. Pro Carton besuchte ihn in seiner Agentur in Hamburg und sprach mit ihm über die Zukunft von Marken und Verpackungen sowie die Rolle, die Karton dabei spielen kann. Lothar Böhm ist seit fast 50 Jahren im Markengeschäft tätig, davon über 40 Jahre als Unternehmer. Er hat in München und Aachen studiert und dann seine berufliche Laufbahn als Verkäufer in einer klassischen Drogerie begonnen. Die klassische Drogerie gibt es im Zeitalter der Drogerieketten praktisch nicht mehr. Er gründete sein Unternehmen 1972 in Hamburg, das er als die Hauptstadt des Brandings im deutschsprachigen Raum bezeichnet. Vor 15 Jahren gründete er ein Unternehmen in Warschau, vor sieben Jahren in London, letztes Jahr folgte New York. Mit knapp hundert Mitarbeitern arbeitet er für Kunden wie Reckitt Benckiser, Nestlé, REWE und Bongrain. Pro Carton: Worin sehen Sie den Schwerpunkt Ihrer Arbeit mit den Kunden? Wir arbeiten immer langfristig mit unseren Kunden zusammen. Nur so funktioniert es, denn wir müssen die Mitarbeiter, ihre Ziele und die ihrer Kunden verstehen. Markeninhaber nutzen uns, um die Zukunft zu meistern. Gemeinsam mit unseren Markeninhabern suchen wir nach möglichen Trends und füllen diese dann mit Produkten. Ich lege großen Wert auf qualitative Marktforschung, insbesondere auf persönliche Gespräche. Nur wenn man die Menschen versteht, kann man Produkte für sie entwickeln. Für viele unserer Kunden führen wir Trendsafaris in London durch. Zurzeit ist London die Welthauptstadt des Brandings, aber das wird in Zukunft nicht mehr unbedingt der Fall sein. Die Zukunft liegt in Shanghai oder Peking, und in vierzig Jahren werden wir eine bipolare Welt zwischen Ost und West, zwischen Europa/USA und Asien sehen. In Wirklichkeit sind unsere wirklichen Kunden die Verbraucher, und das ist ein Standpunkt, den wir gegenüber unseren Kunden vertreten. Das macht unsere Arbeit nicht einfacher, aber für den Kunden sicherlich wertvoller. Schon vor 30 Jahren haben wir Johnson & Johnson bei der Verbraucherorientierung beraten. Und jetzt machen wir das seit sechs Jahren für Reckitt Benckiser. Wir sind echte Sparringspartner. Was hat sich verändert, seit Sie als Berater für Marken arbeiten? Die Werte der Menschen ändern sich. Vor zehn Jahren trugen noch alle Anzug und Krawatte. Heute kommen viele der Chefs der großen Werbeagenturen, die ich kenne, in Jeans und T-Shirt zur Arbeit. Ein großes Auto ist auch nicht mehr so wichtig, meine Kinder besitzen nicht einmal eins. Sie fahren mit dem Fahrrad oder benutzen öffentliche Verkehrsmittel. Bestimmte Dinge wandeln sich von einem Statusobjekt zu einem praktischen Gebrauchsgegenstand. Wer heute mit einem schicken Auto mit schicken Rädern zu einer Veranstaltung kommt, wird eher mit einem leichten Vorbehalt betrachtet. Wie wichtig ist Nachhaltigkeit für Sie? Unsere Kunden haben alle Kinder. Man müsste unglaublich kurzsichtig sein, um einfach zu sagen: 'Wen kümmert es, was später passiert'. Die neue Generation wird noch verantwortungsbewusster handeln als wir. Und das sind Trends, die wir bei den Materialien berücksichtigen müssen. In Zukunft werden sich mehr Menschen mit der Reduzierung von Ressourcen befassen. Das ist keine Frage der Finanzen, sondern eine Frage der Überzeugung." Umweltbewusstsein und Verantwortung für die Umwelt sind heute eine Selbstverständlichkeit und die Menschen erwarten von jedem Markenartikler und auch vom Handel, dass er sich entsprechend verhält. Darin liegt eine große Chance für Karton. Für REWE Österreich haben wir kürzlich eine neue vegane Linie entwickelt, in der zahlreiche Verpackungen aus Karton enthalten sind. Mittel- und langfristig ist man eher erfolgreich, wenn man ehrlich ist. Die Menschen sind generell aufgeklärter geworden, sie sind über zahlreiche Netzwerke verbunden, da muss man sauber bleiben. Das gilt vor allem für Marken, deren Lebensader ihre Glaubwürdigkeit ist. Welche aktuellen Trends sehen Sie bei Verpackungen? Generell geht der Trend in Richtung Regionalität und Nachhaltigkeit. Ein Großteil der Verpackungen wird aus Materialmischungen und Verbundmaterialien bestehen. Insgesamt wird es einen Trend zu weniger Verpackung geben. Die Produktion wird weitgehend digitalisiert und standardisiert werden. Karton wird mehr und mehr für Umverpackungen und Premiumverpackungen eingesetzt werden. Die Zukunft sieht gut aus, denn Karton ist ein organischer Werkstoff." Die Kosten bleiben ein wichtiges Element in der Produktion, wobei die Entwicklungs- und Lebenszyklen immer kürzer werden. Der Trend liegt in der Verringerung der Anzahl der eingesetzten Materialien und des Materialverbrauchs. Die Bedeutung der Rohstoffquellen nimmt zu. Auch Recycling und ökologische Faktoren werden immer wichtiger. Nachhaltigkeit wird zu einer Lebenseinstellung. Aber am Ende zählt die Bequemlichkeit: Bequemlichkeit schlägt Umweltbewusstsein. Vor der Fusion mit Reckitt haben wir für Benckiser eine Waschmittellinie entwickelt: ein modulares System für unterschiedliche Verschmutzungsgrade. Aber die neue Linie hat sich nicht bewährt, weil die Kunden den Vollwaschgang bevorzugten. Welchen Einfluss hat der Multi-Channel-Verkauf? Das Einkaufsverhalten ändert sich derzeit dramatisch. Am 1. Januar 2022 feiern wir das 50-jährige Bestehen von Lothar Böhm Associates, und in den Jahren bis dahin werden sich die Märkte schneller verändern als in den vergangenen sieben Jahren. Junge Menschen decken schon heute ein Drittel ihres Bedarfs über das Internet, und das wird sich noch erheblich steigern, wenn die heute 20-Jährigen ins Berufsleben einsteigen. Der Zugang zu Produkten wird schneller, auch international, und das Informationsangebot ist enorm. Dazu gehört auch das Aufkommen zahlreicher Vergleichs- und Bewertungsmöglichkeiten. Die Folge ist eine Zersplitterung des Produktangebots mit einer Vielzahl von neuen Nischen und Spezialitäten. Auch das Verbraucherverhalten differenziert sich immer mehr aus. Früher gingen die Kunden zum Lebensmittelhändler und später zum Supermarkt. Heute gehen sie zuerst zum Discounter, um den täglichen Bedarf kostengünstig zu decken, und anschließend in die Parfümerie, um einen sündhaft teuren Duft zu kaufen. Digital Natives legen großen Wert auf eine attraktive Verpackung: Sie sollte ästhetisch, innovativ und funktional sein und darüber hinaus sowohl zum Produkt als auch zum eigenen Image des Nutzers passen. Außerdem sollte sie weniger Abfall erzeugen. Es ist wichtiger denn je, dass die Verpackung und das Image des Unternehmens stimmig sind. Die kommenden Jahre bieten ein vielversprechendes Szenario für neue, kreative Produkte, Marken und Verpackungsideen. Vielen Dank für das Gespräch!